Christi Ebenmass

(Bild 12) Martin Schongauer, Die Heilige Veronika hält das Sudarium, um 1470-1482, Holzschnitt, Nr. 1862,1011.203, British Museum / London
(Bild 12) Martin Schongauer, Die Heilige Veronika hält das Sudarium, um 1470-1482, Holzschnitt, Nr. 1862,1011.203, British Museum / London
(Bild 13) Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock (Ausschnitt), 1500, Öl auf Lindenholz, 67,1 x 48,9 cm, Inv.Nr. 537, Alte Pinakothek München / Bayerische Staatsgemäldesammlungen
(Bild 13) Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock (Ausschnitt), 1500, Öl auf Lindenholz, 67,1 x 48,9 cm, Inv.Nr. 537, Alte Pinakothek München / Bayerische Staatsgemäldesammlungen
(Bild 14) Meister ES, Die Heilige Veronika, das Sudarium mit Jesu Gesicht haltend, um 1450-1467, Holzschnitt, Nr. 1895,1214.113, British Museum / London
(Bild 14) Meister ES, Die Heilige Veronika, das Sudarium mit Jesu Gesicht haltend, um 1450-1467, Holzschnitt, Nr. 1895,1214.113, British Museum / London

Die Dreiteilung des Gesichtes nach Vitruv nahmen Künstler als ideale Proportionierung an, etwa für das Antlitz Jesu. Aber auch auf andere Weise 'konstruierten' sie perfekte Gesichtszüge.

 

Als Beispiele dienen Martin Schongauer (um 1445/1450 - 1491) und der Meister ES (um 1429 - um 1468). In Sudarien verliehen sie als Verweis auf göttliche Harmonie den streng frontal ausgerichteten Christusköpfen Ebenmaße. Diese wurden über Äquidistanzen (gleiche Strecken) erzielt. 

 

In Schongauers Holzschnitt entsprechen sich die Breiten von Mund, Nase und Augen des Gottessohnes auf dem Schweißtuch der Heiligen Veronika. Die Breite ist gleich dem Abstand der Augeninnenwinkel voneinander. So sind auch die Strecken von der gezogenen Mittellinie zu beiden Pupillen bemessen.

 

(Nicht enthalten in der Konstruktionszeichnung ist das gleichseitige Dreieck als Bezug von Augen und Nase sowie die konsequent aus den Maßen entwickelte Scheitelhöhe.)   

Dürer scheint das Analogie-System adaptiert und vielseitig eingesetzt zu haben. Er wandte es, wie gezeigt, nicht nur beim Kopf eines Mannes an, sondern augenfällig auch bei seinem christopmorphen Münchner Selbstbildnis im Pelzrock von 1500. In der Konstruktion manifestiert sich die Vorstellung von Christi Ebenmaß.

 

Letztlich bezieht sich Dürer auf die uralte Verbindung von Maß und Messen mit Gott als mathematischer Ordnungsmacht nach dem Buch der Weisheit 11,20 im Alten Testament. Dieser religiös motivierte Leitgedanke [1]  knüpfte sich an die Auseinandersetzung mit dem Maßkonzept von Vitruv und scheinbar bruchlos an die anthropometrischen Interessen, die Künstler in dieser Zeit hegten.  



[1] Hinzu kam die zu Dürers Zeit geäußerte Überzeugung, dass sich im Haupt Christi alle Maße befinden, die man mit der geometrischen Grundlage eines schönen Christusbildes identifizieren könne. In Stephan Fridolins Erbauungsbuch "Der Schatzbehalter oder Schrein der wahren Reichtümer des Heils und wahren Seligkeit" (Nürnberg 1491) heißt es: "Das haubt, in dem die schetz aller formen und gestalten lagen, Das der spiegel aller Bildung und schonheit was." (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00306000); siehe: Daniel HESS, Dürers Selbstbildnis von 1500. "Alter Deus" oder "Neuer Apelles?", in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 77 (1990), S. 63-90, bes. S. 84-85.